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Der Garten als Sehnsuchtsort

Die Liebe zu Pflanzen und zum Gärtnern wurde dem Landschaftsarchitekten Jörg Weisser (*1963) in die Wiege gelegt: Schon sein Vater war Gartenarchitekt. Als Kind werkelte er täglich nach der Schule draußen, als Jugendlicher half er dem Vater, der als Leiter des Gartenwesens der BASF SE in Ludwigshafen tätig war, bei der Bepflanzung von Projekten. Nach einer Lehre im Garten- und Landschaftsbau erweitere Jörg Weisser unter anderem in der Baumschule Bruns sowie der Staudengärtnerei Gräfin von Zeppelin sein Wissen. Im Anschluss studierte er an der FH Osnabrück Garten- und Landschaftspflege. Für das Büro FSWLA Landschaftsarchitektur GmbH (heute: Studio grüngrau Landschaftsarchitektur GmbH) in Düsseldorf, welches zu den herausragenden Landschaftsarchitekturbüros in Deutschland gehört, wirkte er fast drei Jahrzehnte lang zusammen mit seinem Geschäftspartner Prof. Thomas Fenner. Heute ist Jörg Weisser beratend für Firmen, Institutionen und Privatkunden unter dem Label „Passion for Green“ tätig.

Joerg Weiser

Private Gärten sind ein Thema, das aktuell besondere Aufmerksamkeit erfährt. Viele unserer Kunden wünschen sich eine eigene grüne Oase am Haus. Sie selbst haben dieses Herzensprojekt auf besondere Art und Weise umgesetzt. Wie entstand ihr 800 Quadratmeter großer Garten in Mettmann?

Am Anfang stand der Wunsch sich zu verorten, zu verwurzeln. Physisch und psychisch einen Ort zum Wohlfühlen im Innen wie im Außen zu gestalten. Ein Spiegel der Seele, des kontemplativen In-Sich-Kehrens, als Ausgleich zum Arbeitsalltag im Unternehmen. Und der Wunsch, neben einem erfolgreichen Berufsleben als Landschaftsarchitekt und Partner im Büro FSWLA den Gärtner wieder in mir aufzuspüren. Ausgangspunkt war ein abgewohntes Siedlungshaus aus den späten 1950er Jahren auf einem verwilderten Grundstück in Mettmann, das ich 2009 kaufte. Heute, zehn Jahre später, sind Haus und Garten mein geliebter und gelebter Wohlfühlort.

Sie lieben Ihren Garten im Frühlingserwachen, in Sommerlaune, Herbstfärbung und Winterstille. Wie haben Sie die Bepflanzung angelegt, damit sie den Wandel der Jahreszeiten erlebbar macht – und immer toll aussieht?

Die Kunst besteht darin, ein Bild zu schaffen, das sich im Gesamtzusammenhang nicht ändert, aber tatsächlich zu jeder Jahreszeit anders aussieht. Die Grundstruktur des Gartens ist ein Raumgerüst aus Bäumen, Sträuchern, Stauden und Blumen. Auf dem Grundstück vorhanden war eine riesige Sumpfzypresse (Taxodium distichum), die sicherlich an die 60 Jahre alt und bald 30 Meter hoch ist – unser „Hausbaum“ und geliebter Gefährte – sowie die markante Sicheltanne, die wir zur Freude meines Sohnes auch schon mal als Weihnachtsbaum geschmückt haben. Auch einige Rhododendren blieben erhalten. Alles andere habe ich gezielt so ausgesucht, dass pro Jahreszeit jeweils drei bis fünf Pflanzen optisch in den Vordergrund treten – durch ihre Blüten beziehungsweise Färbung. Was dem Ganzen Farbe gibt, sind insbesondere die Stauden mit ihren vielfältigen Texturen.

Herbstfaerbung

Während wir hier am Tisch sitzen und uns unterhalten, fällt mir auf, dass der Blick in den Garten aus den verschiedenen Fenstern auch jeweils ganz andere Eindrücke offenbart. Ist das Absicht?

Ja, jeder Bereich des Gartens hat zu jeder Jahreszeit ein anderes Thema. Aus dem Haus hat man Ausblicke zu vier Seiten – und so immer vier unterschiedliche Eindrücke vom Garten. Die Bepflanzung folgt einer komplexen Komposition: Ich arbeite perspektivisch, indem ich jeweils einen Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund schaffe, zudem vermittle ich ein dynamisches Bild vom Garten unter dem Einfluss des Faktors Zeit. Sprich: Ich schaffe Räume im Garten, die je nach Blickwinkel und Jahreszeit anders erscheinen, aber sich auch über die Jahre hinweg weiter entwickeln. Es geht mir darum, ein lebendiges, emotionales Bild zu erzeugen, das – anders als in der Architektur oder der Kunst – nicht statisch ist. Und auch wenn der Garten als ein sorgsam geplantes und durchdachtes Gesamtkunstwerk erscheint, muss längst nicht alles perfekt sein oder wie geleckt aussehen. Ich liebe zum Beispiel auch „Unkraut“ wie Epilobium (Weidenröschen) oder Digitalis (Fingerhut) – das sieht nicht nur toll aus, sondern vermehrt sich auch so schön unkontrolliert (lacht).

Gartenliege

Was raten Sie privaten Bauherren, die ihre ganz persönliche grüne Oase schaffen wollen? Was ist wichtig bei der Gartengestaltung?

Erst einmal muss man mit dem Auge für das Detail den Ort erspüren und seine spezifischen Gegebenheiten erkennen. Dazu gehören die Topografie, aber auch Luft und Wasser, Licht und Schatten. Dann gilt es, mit dem nötigen Wissen über Boden, Klima und Pflanzen ein Bild umzusetzen, das man vorher im Kopf haben sollte und sowohl zum Ort wie auch zum eigenen Charakter passen muss. Mit „Bild“ meine ich ein klares Konzept, eine markante Idee – und nicht ein Sammelsurium von Versatzstücken wie etwa Angebote aus dem Gartencenter oder Anregungen aus Büchern oder Zeitschriften, die schlussendlich alle nicht zusammen passen. Wenn man dieses Bild im Garten erzeugen will, muss man klotzen, nicht kleckern. Die Inspiration und Begeisterung müssen sich fokussieren auf ein Thema. Das können zum Anfang erstmal nur drei oder vier Pflanzen sein, mit denen man startet und ausprobiert, welche Wirkung sie erzielen – über Farbe, Struktur und Textur. Claude Monet beispielsweise hat sich in seinem Garten bewusst auf die Seerosen konzentriert – und eine riesige Palette von „Farben“ darauf reduziert. Er hat seinen Garten zusammengepflanzt wie ein Gemälde: Wie aus einer Palette gedacht, eine Idee mit Konsequenz verfolgt und nachvollziehbar umgesetzt – ohne Anspruch auf Perfektion.

Also muss man ein Künstler UND ein Pflanzenkenner sein, um einen stimmigen Garten schaffen zu können?

Nein, überhaupt nicht (lacht). Das kann jeder, man muss es nur ausprobieren, kreativ sein, Mut haben! Der Weg ist das Ziel. Und bloß keine Angst vor dem Scheitern haben, alle berühmten Gärtner haben Fehler gemacht. Selbst der Garten von Sissinghurst Castle, der als der „perfekte englische Garten“ gilt, war im Grunde genommen alles andere als perfekt. Sondern ein Garten als gelebte Leidenschaft seiner Erschaffer. Für mich ist der Garten ein Ort, der lebt, wo man sich trifft und kommuniziert, sich jeden Tag aufhält, sich inspiriert. Ein grünes Zimmer im Freien – das ist heute wieder so wichtig!

Heute scheint die Sehnsucht nach einem eigenen Garten – einem „grünen Zimmer im Freien“, wie Sie es nennen – tatsächlich größer denn je. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Gerade hier und jetzt in unserer Zeit bedeuten private Gärten ein kleines Stück Freiheit vor der eigenen Haustür. Ein Garten erfordert Zeit – das war bislang für viele der größte Luxus. Nun verbringen die Menschen deutlich mehr Zeit Zuhause. Sie haben oder nehmen sich die Zeit, die es braucht, um mit Kontinuität und Geduld den eigenen Garten zu gestalten. Wer spielerisch probiert, gestaltet und entwickelt, schafft für sich seine grüne Insel, die es mit Muße zu betrachten gilt.

Wasserbecken
„Jeder Bereich des Gartens hat zu jeder Jahreszeit ein anderes Thema. Aus dem Haus hat man Ausblicke zu vier Seiten – und so immer vier unterschiedliche Eindrücke vom Garten.“